Aus dem Leben eines Wanderers
Kapitel II
Mevlana

1. Vorwort
Vorab sei gesagt: die Erlebnisse aus diesem Kapitel ereigneten sich bereits vor zwei Monaten, also Ende April, doch da mir das Thema gar so wichtig war und gleichzeitig die Reise mich weiter gut beschäftigt hielt, feilte ich bis heute an diesem Kapitel und so sieht es erst jetzt das Licht der Welt bzw. des Internets.
Viel Spaß beim Lesen, Hören und Schauen!
2. Turn on, tune in, drop out
Los geht es diesmal gleich am Anfang mit Musik.
Hol dir Kopfhörer, setz dich hin, schließe die Augen und hör zu, solange du willst:
3. Der Weg zu Mevlana
Es gibt ja Momente im Leben, da sendet das Universum dir Zeichen, um aufzuzeigen, wohin es dich leiten möchte. Es sendet sie manchmal sanft mit Schmetterlingen, ein andermal winkt es vor deinem Gesicht mit einem Zaunpfahl und dann wiederum gibt es Momente, da kommt es mit dem Rammbock zur Tür hinein gerannt – und trotzdem verstehst du nicht was es von dir will.
Eine solche Begebenheit trug sich mir zu. Aber fangen wir am Anfang an:
Ich verbrachte knapp zwei Wochen mit Mary in der Türkei. Wir waren in den Felsenstädten Kappadokiens, in dem schönen Dörfchen Güzelyurt und Campen in Anamur, dem südlichsten Punkt der Türkei. Es waren Tage außerhalb der Zeit – glückliche Tage.
Das Momentum dieser Energie nutzend, brach ich noch am Tag des Abschieds auf, um des Visas wegen die irakische Botschaft in Ankara aufzusuchen. Indes, der Weg führte mich über die Stadt Konya, in der ich vom Bus auf die Bahn wechseln sollte. Doch als ich mich am Bahnhof in Konya einfand, erfuhr ich an der Kasse, es seien heute alle Züge ausgebucht.
In mir ging gleich der Film los: „Wie ausgebucht?! Aber ich will doch weiter! Da passe ich doch wohl noch rein!“ – ein Ärger, dass meine Pläne einfach so durchkreuzt wurden, wo ich doch jetzt so klar wusste was ich wollte.
Doch dann tauchte ein anderer Gedanke auf: „Was, wenn das schon seine Richtigkeit hat und es so geschrieben steht? Was habe ich zu verlieren, an Zeit bin ich ja reich?“.
Ich lief also durch diese mir unbekannte Stadt, die vorher nie mein Interesse auf sich gezogen hatte. Als ich gerade auf meine Unterkunft zusteuerte, sprach mich ein Mann auf der Straße an. Er heiße Ali, arbeite in einem Teppichladen und fragte, ob ich die Derwisch Show sehen möchte. Die Derwisch Show? Sind das nicht diese drehenden Menschen mit langen Gewändern, sicher entstammend einem schönen Brauch, der nun aber touristisch gekapert wurde? Puh ich weiß ja nicht.
Aber Ali war sehr freundlich und auf die Frage wo ich gut essen könne, nahm er mich kurzerhand mit zu seinem Lieblingsrestaurant. Dort angekommen setzen wir uns aufgrund des Platzmangels an einen Tisch an dem bereits eine andere Frau saß. Wir kamen schnell ins Gespräch, es stellte sich heraus sie war aus Estland, Ali lud auch sie ein – und schon waren wir eine Dreiergruppe.
Die Art und Weise, wie Ali die Menschen einlud (es sollte nicht nur bei mir und der estländischen Frau bleiben), gab mir ein immer besseres Gefühl, und schließlich war ich gespannt, was mich erwarten sollte. Mit einem Dolmus, den dort üblichen Mitfahrtaxis, fuhren wir ein Stück aus der Stadt heraus und kamen an einem großen Platz an. Die Sonne ging gerade unter und tauchte alles in ihr rotes Licht – es lag ein Zauber in der Luft.
Wir gingen über den Platz auf ein großes Gebäude zu, worin sich ein großzügiger Innenhof befand. Im Kreuzgang hatten sich wiederum viele kleine Handwerksläden angesiedelt. Es wurden dort altertümliche Instrumente gebaut, wundersame Blätter mit Kalligraphien gestaltet, hohe Hüte gefilzt und allerlei kleiner Schmuckstücke ausgestellt.
Wir hatten noch etwas Zeit, bis die Zeremonie losgehen sollte und um meinen Rucksack abzulegen besuchten wir Yunus in seinem Hutladen. Ach was war Yunus für ein guter Mensch! Gar schöne Hüte fertigte er dort an und ich durfte ihm dabei zusehen.
Dann ging die Zeremonie los:
Durch eine Flügeltür ging es in die Semâhâne, eine große Halle, in deren Mitte sich ein runder Paketboden befand. Am Rande davon nahmen wir Platz.
Auf einer Leinwand auf der gegenüberliegenden Seite stand:
Es-Semî (cc)
„Her şeyi en iyi işiten“
The All Hearer.
Und danach:
Meydan-ı Serîfe girilirken sessiz ve sözsüz olunması; Allah (cc) indinde herkesin ahsen-i takvim üzere (yani en güzel surette) yaratılma iradesiyle mevcut olduğunu göstermektedir.
Bu durum Allah (cc)’ın ilminde dünyaya doğmadan evvel de var olduğumuza işarettir.
Was übersetzt so viel heißt wie:
Im Schweigen und in der Wortlosigkeit beim Betreten des Platzes offenbart sich, dass es Allahs Wille ist, dass ein jeder aus der schönsten Form geschaffen wurde. Es zeigt uns, dass wir im Wissen Allahs bereits existierten, bevor wir in diese Welt hineingeboren wurden.
Die Stille als Anfangspunkt dieser Zeremonie und darüber hinaus – ab diesem Moment hatte ich dieses warme Gefühl, dass alles genau so richtig war, wie es gekommen ist.
Es betraten das Orchester, die Derwische und der Shekir den Raum und für die nächsten eineinhalb Stunden nahmen sie uns mit in ihren Zauber.
Diesen Zauber vollends einzufangen ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit, doch gar schön ist es in dem kleinen Büchlein Monsieur Ibrahim und die Blumen des Islam beschrieben, als Ibrahim den Jungen Momo zu einer Zeremonie mitnimmt:
Und da habe ich zum ersten Mal die sich drehenden Männer gesehen. Die Derwische trugen lange, helle, schwere, weiche Gewänder. Eine Trommel erklang. Und die Mönche verwandelten sich in Kreisel.
»Siehst du, Momo, sie drehen sich um sich selbst, sie drehen sich um ihr Herz, um den Ort, wo Gott wohnt. Das ist wie ein Gebet.«
»Das nennen Sie beten?«
»Aber ja, Momo. Sie verlieren jede Bindung an die Erde, diese Schwere, die man Gleichgewicht nennt, sie werden zu Fackeln, die in einem großen Feuer verbrennen.«
Ich war, bei der Betrachtung dieser Zeremonie, voll von der Hingabe an Gott eingenommen. Doch in einem Moment, in dem ich aus der Versenkung auftauchte, besann ich mich und fertigte, trotz des Wissens der Unzulänglichkeit jeglicher technischer Konservierungsversuche, eine kurze Tonaufnahme an, die ich nun hier teilen kann. Wer genau hinhört, kann das Schleifen der Schuhe bei der Drehung hören:
Was ich erst später erfuhr, war die Tatsache, dass die Zeremonie, der ich hier beiwohnte, von solcher Art beschaffen war, dass der lokale Orden kostenlos dazu einlud ihrem Glaubensritual beizuwohnen, während es keine 500 Meter davon entfernt große touristische Spektakel gibt, die sicher auch nett anzusehen sind, aber wenig nur noch mit der Hingabe und Kostbarkeit zu tun haben, die ich hier erleben durfte.
Ich bin Ali über alle Maßen dankbar, dass er mir diesen Abend ermöglicht hat.
~*~
Noch bei der Heimfahrt unterhielt ich mich mit Raffa, den ich auch dort kennengelernt hatte, und er erwähnte all die besonderen Orte der Stadt die Mevlana gewidmet waren. „Dieser Mevlana muss wohl ein berühmter Mann gewesen sein. Vielleicht so etwas wie ein König.“ dachte ich noch. Ali bestand darauf, dass ich des nächsten Tages das Mevlana Museum besuchen müsse und als ich Tags drauf also das Museum betrat, fand ich eine Tafel vor mir der Inschrift (übersetzt):
HZ. MEVLANAS SIEBEN RATSCHLÄGE
In deiner Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft sei wie der Fluss.
In deinem Mitgefühl und deinem Wohlwollen sei wie die Sonne.
Im Verdecken der Fehler Anderer, sei wie die Nacht.
In deiner Wut und deinem Zorn sei wie ein Toter.
In deiner Bescheidenheit und Zurückhaltung sei wie die Erde.
In deiner Toleranz sei wie das Meer.
Zeige dich, wie du bist, oder sei, wie du dich zeigst.
„Mensch, dieser Mevlana, das muss ja ein kluger König gewesen sein!“ dachte ich, betrat dann das Museum, holte mir einen Audioguide und hörte zu wie die Stimme von einem Mevlanâ Celaleddin Rumi sprach – und plötzlich fiel der Groschen: Mevlana ist Rumi und Rumi ist Mevlana!
Ach wie blind war ich doch gewesen! Die ganze Stadt dreht sich um Rumi und Rumi dreht sich um sein eigenes Herz und Allah darin – und ich hatte es bis jetzt nicht begriffen.
So kam Mevlana Rumi also zu mir und ich zu Mevlana Rumi.
Erst da wurde mir mein Glück so richtig bewusst – ach wie schön war sich das alles ausgegangen und welches Glück hatte ich doch mit diesen Menschen gehabt.
4. Menschen
Kommen wir nun auf Ali zu sprechen, schließlich habe ich ihm das hier alles zu verdanken.
Ali war der Grund, dass mein Aufenthalt in Konya zu so einem besonderen Moment wurde. Wir hatten viele und lange Gespräche und am Ende lud er mich auch zu sich nach Hause zum Übernachten ein.
Ali ist nicht nur Professor an der Uni in Ankara, begnadeter Redner zu allen möglichen Themen, sondern eben auch, zusammen mit Kerim, Leiter des Teppichladens ‚Kilimji Baba‘, ein Teppichladen, der seinesgleichen sucht.
Der Laden ist versteckt in einem Handwerksgebäude und misst in seiner Gesamtheit nicht mehr als 30 Quadratmeter. Darin? Massen verschiedener Teppiche. Diese kommen aus allen verschiedenen Teilen der Welt, sind aus Seide oder Wolle geknüpft und von Gebetsteppichen, Satteltaschen bis Wandteppichen ist alles dabei.
Und doch sind die Teppiche nicht die Hauptattraktion. Die Hauptattraktion, das sind die beiden, Ali und Kerim, selbst. Solch gute Menschen, die es schaffen dir mit ihrer Herzlichkeit eine gute Zeit zu schenken.
Das Resultat ist, dass ihr Laden als einer der besten geschätzt wird von Menschen rund um die Welt. Ihre Bewertung auf Google ist eine glatte 5 von 5 und sie werden von Lobesworten nur so überschüttet. Ein Filmemacher war einst sogar so begeistert, dass er einen kostenlosen Film, im Stile einer Hochglanzwerbung, über diesen Ort erstellt (Hier ein Link für die interessierten: https://www.instagram.com/reel/CyOwji_ICyb/).
Das alles hätte ich ohne Ali nie kennengelernt. So schön, können zufällige Begegnungen sein.
5. Fotos

















6. Wissenswertes – Rumi
Und hier wieder die Ecke für Wissenswertes, im Stile eines Schulreferates.
Rumi, stabiler Typ. Wächst in Balch, im heutigen Afghanistan auf. Seine Familie muss dann aber von den herannahenden Mongolen flüchten, cue: Cengiz&Gang.
Nach einigem Hinundherreisen bekommt der Vater eine Einladung des Sultans der Rum-Selcuken als Gelehrter und geistlicher Führer in Konya zu bleiben. Sein Vater wird geliebt vom Volk, doch als er stirbt erwarten die Menschen von Lil‘ Rumi, dass er so gut ist wie sein Vater – uff tough one. Aber er macht sich ran und bald wird er ähnlich geliebt wie sein Vater – Goldjunge.
Life is good, er hat Rizz, Frau und Kinder, doch eines Tages taucht Shams in sein Leben auf. Shams: Mysteriöser Typ, umherziehender Derwisch, der Rumis Verständnis von Gott nochmal komplett skyrocken lässt. Mit seiner Art und seinen Gedanken trifft er Rumi mitten ins Herz – Bromance.
Gebt euch allein die Story wie sie sich kennengelernt haben sollen:
Auf dem Markt von Konya, zwischen Stoffverkäufern, Zuckerhändlern und Gemüseständen, ritt Rumi durch die Straße, umgeben von seinen Schülern. Shams, der gerade in die Stadt gekommen war, ergriff die Zügel seines Esels und stellte dem Meister, ohne ihm viel Respekt zu zollen, die Frage. „Wer war der größere Mystiker, Bayazid [ein damals berühmter Sufi-Heiliger] oder Muhammad?“, forderte Shams ihn heraus. „Was für eine seltsame Frage, Muhammad ist größer als alle Heiligen!“, antwortete Rumi.
„Warum sagte dann Muhammad zu Gott: ‚Ich kannte dich nicht, wie ich sollte‘, während Bayazid verkündete: ‚Glorie sei mir! Wie erhaben ist meine Herrlichkeit!‘ [das heißt, er beanspruchte den Rang Gottes selbst]?“ Rumi erklärte, dass Muhammad der Größere von beiden war, weil Bayazid durch eine einzige Erfahrung göttlicher Erfahrung bis zum Rand gefüllt werden konnte. Er verlor sich vollständig und war damit gesättigt. Muhammads Kapazität dagegen war unbegrenzt und konnte niemals gefüllt werden. Sein Verlangen war endlos, und er war immer durstig. Mit jedem Moment kam er Gott näher und bereute dann seinen früheren Zustand, zu dem er ihm noch ferner gewesen war. Aus diesem Grund sagte er: „Ich habe dich nie so gekannt, wie ich sollte“.
Es wird berichtet, dass Rumi nach diesem Wortwechsel spürte, wie sich ein Fenster in seinem Kopf öffnete, und er Rauch zum Himmel aufsteigen sah.
Dann schrie er auf, fiel zu Boden und verlor für eine Stunde das Bewusstsein. Shams wiederum erkannte beim Zuhören Rumis Worte, dass er dem Gegenstand seiner Sehnsucht gegenüberstand, demjenigen, den er Gott gebeten hatte, ihm zu senden. Als Rumi erwachte, nahm er Shams‘ Hand und die beiden kehrten zusammen zu Rumis Haus zurück.
Eine andere Geschichte über ihre erste Begegnung hat einen anderen Spin und geht so:
Eines Tages las Rumi in der Stadt und hatte neben sich einen großen Stapel Bücher. Shams, der vorbeikam, fragte ihn: „Was tust du da?“ Rumi, der ihn als ungebildeten Fremden abtat, antwortete: „Etwas, das du nicht verstehen kannst.“ Als Shams dies hörte, warf er den Bücherstapel in einen nahe gelegenen Brunnen. Rumi sprang hinterher, um die Bücher zu retten, doch bemerkte zu seiner Verwunderung, dass sie alle trocken waren. Rumi fragte Shams: „Wie kann das sein?“ Daraufhin antwortete Shams: „Meister, das ist etwas, das von Gelehrten wie dir, nicht verstanden werden kann.“
Wie dem auch sei, fest steht, dass die beiden ab da ein Herz und eine Seele sind. Andere finden das aber überhaupt nicht cool und sehen bald in Shams den Grund für Rumis Rückzug aus dem öffentlichen Leben – jealous!
Shams verlässt auf jeden Fall erst mal die City, um dann nochmal wiederzukommen, aber verschwindet dann für immer. Manche sagen auch das war nicht freiwillig – sus!
Jedenfalls ist Rumi heartbroken. ‚Shams‘ übersetzt heißt Sonne und Rumi nannte ihn auch die Sonne, die ihm den Weg hin zu Allah geleuchtet hat. Junge, das geht tiefer als Romeo und Julia. Jedenfalls schreibt er dann noch mehr Gedichte und eines Tages als er die Straße entlang läuft, hört er Musik und fängt an sich zu drehen. Er entdeckt dadurch einen neuen Zugang zu Allah, dem Verständnis des ewigen Kreislaufes und einer Loslösung vom Ego – in kurz: es wird sein Signaturmove.
Die Krönung seiner Schreibkunst ist Masnavi, ein Werk bestehend aus 6 Bänden und 25.000 Doppelreimen – da kann selbst Eko Fresh mit ‚1000 Bars’ einpacken.
Zudem entwickelt sich durch ihn der Mevlevi Orden. Ein Sufi Orden, der noch heute existiert und eben bekannt für die sich drehenden Derwische ist.
Er stirbt am 17. Dezember 1273 und nannte seinen Tod die Hochzeit mit Gott – wallah, der Junge lebte was er sagte.
~*~
Um euch mal eine Kostprobe zu geben, was für Banger der Junge rausgehauen hat, ist der nächste Abschnitt seinen Worten gewidmet.
Peace!
7. Rumi mit seinen eigenen Worte
Es gäbe nun endlos viel von Rumi zu zitieren, aber ich belasse es bei zwei Zitaten, die zu dieser Zeit, am meisten in mir etwas bewegen:
Lass Dich ziehen von dem leisen Sog dessen, was Du wirklich liebst! Er wird dich nicht in die Irre führen.
Die Brise in der Morgendämmerung hat dir Geheimnisse zu erzählen.
Leg dich nicht wieder schlafen.
Du musst um das bitten, was du wirklich willst.
Leg dich nicht wieder schlafen.
Menschen gehen hin und her über die Türschwelle
wo sich die beiden Welten berühren.
Die Tür ist rund und offen.
Leg dich nicht wieder schlafen
~*~
Und wer noch nicht genug hat, dem sei noch eine Vertonung seines Gedichtes Man-o to (übersetzt „Ich und du“) ans Herz gelegt. Es entstammt seinem anderen berühmten Werk, dem Dīwān-e Schams, das Rumi zu Ehren Shams geschrieben hat.
Einmal als reine Singversion:
Und wenn es mehr knallen soll, als Version des DJs Nu:
Das war’s für dieses mal, es geht weiter Richtung Sonnenaufgang.
All die Liebe
Jona